Tilo Arnhold – Leibniz-Institut für Troposphärenforschung e. V.
Erstmals liefert während der MOSAiC-Expedition ein Multi-Wellenlängen-Lidar Daten zum Feinstaub in der zentralen Arktis während der Polarnacht
FS Polarstern (86°N,121°E). Die Atmosphäre der zentralen Arktis ist mit Feinstaub aus Sibirien und Nordamerika belastet. Das ergab eine vorläufige Auswertung der ersten Lidar-Messungen, die das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) bei der einjährigen MOSAiC-Expedition von Bord der Polarstern durchführt. Dabei kam erstmals ein Mehrwellenlängen-Lidar während der Polarnacht in der zentralen Arktis zum Einsatz, das mit Laser-Pulsen vom Boden aus Staubpartikel in Höhen bis zu 14 Kilometern messen kann. Erste Daten zeigen mehrere Schichten bei 5, 6 und 12 Kilometern Höhe mit Staub aus menschlichen Quellen und von Waldbränden. Die Daten sind ein Indiz dafür, dass die obere Atmosphäre der Region um den Nordpol im Winter stärker verschmutzt ist als bisher angenommen. Die internationale MOSAiC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), wird in den kommenden Monaten Daten zum Klimawandel in der zentralen Arktis liefern, für die es wegen der extremen Bedingungen der Polarnacht fast keine Messungen gibt.
Am 4. Oktober hat die FS Polarstern bei 85°Nord und 137°Ost die Eisscholle erreicht, mit der der Eisbrecher und ein umfangreiche Messnetz auf dem Eis ein Jahr lang durch die zentrale Arktis am Nordpol driften wollen. Mit dem offiziellen Start der MOSAiC-Expedition nahm auch der OCEANET-Container an Bord der Polarstern seine Arbeit auf. „Unser Container befindet sich zusammen mit den Containern der US-Amerikanischen und Schweizer Partner auf dem Vordeck der Polarstern. Direkt nach dem Ende der Verladearbeiten konnte ich unseren Laser in Betrieb nehmen. Ziel ist es, rund um die Uhr ein Jahr lang die Schwebeteilchen in der Atmosphäre über dem Schiff zu messen“, berichtet Dr. Ronny Engelmann vom TROPOS, der die Messungen auf dem ersten Fahrtabschnitt an Bord betreut bis er im Dezember 2019 abgelöst werden wird.
Die Atmosphärenforschung betritt damit Neuland: „Der Betrieb unseres laserbasierten Fernerkundungssystem PollyXT in der zentralen Arktis ist bisher einmalig. Nie zuvor wurde die Atmosphäre in dieser abgelegenen Region mit einem Mehrwellenlängen-Lidar untersucht, das mit Licht verschiedener Wellenlängen von ultraviolett bis infrarot arbeitet. Nur durch diese Kombination ist es möglich, verschiedene Schwebeteilchen zu bestimmen, die aus vielfältigen Quellen wie Waldbränden, Vulkanasche, anthropogener Luftverschmutzung oder der Meeresoberfläche stammen können“, erklärt Dr. Albert Ansmann, Leiter der Arbeitsgruppe Bodengebundene Fernerkundung am TROPOS.
Seit über 20 Jahren entwickelt und betreibt TROPOS Lidar-Geräte, um die Eigenschaften der Schwebeteilchen, in der Fachsprache Aerosole genannt, zu untersuchen. Diese Geräte tasten die Atmosphäre über dem Boden wie ein Licht-Radar mit Laserlicht und werden daher Lidar genannt. Je nach Oberfläche und Form der Partikel wird das Laserlicht unterschiedlich reflektiert. Wird nicht nur Laufzeit und Menge des reflektierten Lichts, sondern auch dessen Polarisation gemessen, dann ermöglicht dies Rückschlüsse auf die Eigenschaften der Partikel. Auf der Polarstern kommt die modernste Generation des mobilen Lidar-System PollyXT zu Einsatz, das Laserpulse aus ultravioletten (355 Nanometer Wellenlänge), grünen (532 Nanometer Wellenlänge) und infraroten (1064 Nanometer Wellenlänge) Licht aussendet. Empfangen wird auf 13 Kanälen und damit ein breites Lichtspektrum bis in den infraroten Bereich abgedeckt. Da für die Atmosphärenforschung die bodennahen Luftschichten in der Arktis besonders wichtig sind, wurde es mit einem Nahfeldkanal ausgerüstet, um zusammen Daten ab 50m über dem Schiff bis in Höhen von 35 km zu erfassen. Außerdem misst es mit zwei Gesichtsfeldern, um die Streuung des Lichts in Wolken besser erfassen zu können. Diese Dual-Field-of-View-Technologie, eine Entwicklung von TROPOS mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Weißrusslands, erlaubt die Bestimmung der Größe und Anzahl von Wolkentropfen – einen wichtigen Parameter für Klimamodelle. Weltweit gibt es aktuell nur zwei Geräte dieser Art. „Das andere Gerät befindet sich in unserem LACROS-Container gerade in Punta Arenas in Chile, wo wir an der Südspitze Südamerikas zusammen mit der Magellan Universität (UMAG) und der Universität Leipzig bei der Messkampagne DACAPO-PESO die Atmosphäre in der Nähe der Antarktis untersuchen. Durch den identischen Aufbau lassen sich die Daten aus beiden Polarregionen gut vergleichen. Wir sind auf die Ergebnisse gespannt“, sagt Ansmann.
Bei MOSAiC kommt eine Vielzahl an modernsten Messgeräten zum Einsatz, die sich gegenseitig ergänzen und zusammen ein möglichst vollständiges Bild des jetzigen Klimas in der Region um den Nordpol liefern sollen. „Das laserbasierte System Polly-XT ermöglicht bei wolkenlosem Himmel einen beispiellosen Blick auf die vertikale und zeitliche Verteilung der Aerosol-Partikel in der Arktis. Bereits am Morgen des 5. Oktober klarte es auf und bot dem Laser freie Sicht in die Atmosphäre. Die Beobachtungen lieferten überraschende Ergebnisse: Die Atmosphäre an dem abgelegenen Standort rund 1000 Kilometer nördlich von Sibirien war vom Boden bis in eine Höhe von 12 Kilometern stark mit Schwebeteilchen belastet. Diese Verschmutzung kann nicht aus lokalen Quellen stammen, sondern nur über Ferntransport in die hohen Breiten gelangen“, berichtet Dr. Holger Baars, der zur Datenauswertung am TROPOS in Leipzig beiträgt. Um die Quellen der Luftverschmutzung in der Arktis eingrenzen zu können, wurden Wettermodellsimulationen ausgewertet und die Herkunft der Luft über 10 Tage zurückverfolgt. „Mit Hilfe sogenannter Rückwärts-Trajektorien können wir bestimmen, woher die Luft kommt, die über dem Schiff gemessen wird. Dabei zeigte sich, dass die Luftmassen vom südlichen Russland durch den Süden Sibiriens am Rande der zentralasiatischen Wüsten über Kamtschatka nach Osten zogen bevor sie über Alaska in die Arktis kamen. Das passt zum Aerosol aus Waldbränden, Industrieverschmutzung und Wüstenstaub, das wir in den Lidar-Daten sehen. Und es passt zur These, dass die Arktis im Polarwinter wie ein großer Strudel wirkt, der Luftverschmutzung aus großen Teilen der Nordhemisphäre ‚ansaugt‘ “, erläutert Martin Radenz vom TROPOS, der die Simulation der Luftmassen erstellt hat.
Kaum eine Region der Erde hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark erwärmt wie die Arktis. Seit 2016 untersucht der Transregio 172 „Arktische Klimaveränderungen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter Leitung der Universität Leipzig, welche Rolle Wolken und die damit verbundenen Prozesse in der Atmosphäre der Arktis haben. Dabei zeigten sich starke Unterschiede in der Eisbildung in Wolken je nachdem ob die Wolken bis zum Boden reichen oder nicht. Tatsächlich zeigten die Lidarmessungen des TROPOS während der MOSAiC-Erprobungskampagne PASCAL im Sommer 2017 Eisbildung bei erstaunlich warmen Temperaturen. „Das wir in der Arktis die wärmsten Eiswolken finden, scheint zunächst paradox, kann aber vielleicht durch ein einzigartiges Zusammenspiel von Temperatur, Feuchte und Aerosol biologischen Ursprungs erklärt werden“ sagt Prof. Andreas Macke, Direktor des TROPOS und Fahrtleiter der PASCAL-Expedition. Fragen der Wolkenbildung stehen im Fokus der aktuellen Untersuchungen, um herauszufinden, wie Eiskeime die Wolkenbildung in der Arktis und diese wiederum die beobachtete Erwärmung beeinflussen.
MOSAiC steht für „Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate“ – also für ein interdisziplinäres Observatorium, das durch die Arktis driftet. Bei MOSAiC dabei sind auch rund zwei Dutzend Forschende aus Leipzig. Sowohl das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) als auch die Universität Leipzig sind mit aufwendigen Instrumenten in der Arktis unterwegs. Die MOSAiC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ist verbunden mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Das Budget von MOSAiC beträgt rund 140 Millionen Euro. Im Laufe des Jahres werden ca. 300 Wissenschaftler aus 20 Ländern an Bord sein. Zusammen wollen sie zum ersten Mal das gesamte Klimasystem in der Zentralarktis erforschen. Sie erheben Daten in den fünf Teilbereichen Atmosphäre, Meereis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie, um die Wechselwirkungen zu verstehen, die das arktische Klima und das Leben im Nordpolarmeer prägen.
Die Expedition zum Miterleben für alle
Neuigkeiten direkt aus der Arktis gibt es über die MOSAiC-Kanäle auf Twitter (@MOSAiCArctic) und Instagram (@mosaic_expedition) über die Hashtags #MOSAiCexpedition, #Arctic und #icedrift. Weitere Informationen zur Expedition auf: www.mosaic-expedition.org. In der MOSAiC-Web-App kann die Driftroute der Polarstern zudem live mitverfolgt werden: follow.mosaic-expedition.org
Aktuelle Informationen zur Leipziger Beteiligung an MOSAiC unter: https://www.tropos.de/mosaic/
MOSAiC und Lidarmessungen auf der UN-Klimakonferenz COP25
Die MOSAiC-Expedition ist auch ein Thema auf der COP25 und Bestandteil von zwei Side Events im Deutschen Pavillon in Madrid: Am 5. Dezember in einer Session zum Klimawandel in der Arktis (https://www.bmu.de/en/german-climate-pavilion/event/ocean-science-from-the-arcti…) und am 12. Dezember in einer Session zu Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen (https://www.tropos.de/aktuelles/veranstaltungen/un-klimakonferenz-2019-cop25).